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Bestrebungen, tertiäre Ausbildungsgänge im Bereich Populärer Musik zu innovieren, sollten auf einem vertieften Verständnis des Berufsfelds basieren. Diese Prämisse setzt wiederum empirische Befunde zu den vorherrschenden Tätigkeitsprofilen sowie den entsprechenden Herausforderungen und maßgeblichen beruflichen Kompetenzbeständen voraus. Im Rahmen dieser Dissertationsschrift wurden daher zunächst die zentralen Aspekte berufsvorbereitender Popausbildungsprogramme und des Berufsmusikerarbeitsmarkts in Deutschland betrachtet, um im Anschluss Erkenntnisse zu prototypischen berufsfeldspezifischen Anforderungen zu präsentieren. Zentrale Forschungsfrage der Arbeit war dabei, an welchen Parametern eine berufspropädeutische Ausbildung im Bereich Populärer Musik ausgerichtet sein sollte, um angehenden Berufsmusikern den Erwerb einer zukunftsfähigen Kompetenzarchitektur zu ermöglichen. Zur Beantwortung dieser Frage kam ein methodenintegratives Verfahren zum Einsatz, wobei zunächst eine quantitative Vorstudie (Online-Fragebogen) durchgeführt wurde. Die Stichprobe (n=159) enthielt Alumni von künstlerischen bzw. künstlerisch-pädagogischen Ausbildungsgängen in Deutschland. Darauf folgte eine qualitative Hauptstudie, im Zuge derer halbstrukturierte Experteninterviews durchgeführt wurden. Das Sample umfasste Alumni von unterschiedlichen tertiären Ausbildungsgängen (n=9) sowie Experten aus dem Bereich Ausbildung (n=5) und Arbeitsmarkt (n=4). Die Daten wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Es zeigte sich zunächst, dass Ausbildungsgänge im Bereich Popmusik, insbesondere solche an musikhochschulischen Einrichtungen, einen starken Fokus auf musikalisch-künstlerische Inhalte legen, während sie Defizite im Bereich Professionalisierung und Berufsfeldorientierung aufweisen. Dies ist insofern im Hinblick auf die Berufspropädeutik problematisch, als die empirischen Daten deutlich machen, dass es gerade auch außermusikalische Kompetenzen sind, die von den Probanden als überaus bedeutsam für den Erfolg im Berufsfeld erachtet werden. Des Weiteren sind die Lernwege von Popmusikern im Vergleich zu Kollegen im Bereich europäischer Kunstmusik sehr heterogen. So zeigt sich eine Kombination aus informellem und formellem Lernen in mehr oder weniger formalen Lernsettings. Informelles Lernen geschieht dabei häufig in Form von Peer-Learning und autodidaktischem Lernen. Auch die Tätigkeitsportfolios der Befragten sind vielschichtig. Sie umfassen neben diversen musikalisch-künstlerischen vor allem pädagogische sowie musiknahe administrative und unternehmerische berufliche Aktivitäten. In einzelnen Fällen werden diese durch außermusikalische Tätigkeiten ergänzt. Ziel ist nicht die fortwährende Erwerbstätigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz, sondern die fortwährende Erwerbsfähigkeit in verschiedenen Teilbereichen des Berufsfelds. Ein wiederkehrendes Motiv in den Aussagen der Befragten sind die vielschichtigen Herausforderungen auf dem Musikerarbeitsmarkt. Darüber hinaus berichten die Probanden generell von fordernden Rahmenbedingungen wie u. a. einer häufig prekären Einkommenssituation, einer hohen Arbeitsbelastung sowie Schwierigkeiten eine nachhaltige Künstlerkarriere aufzubauen. Im Zuge der qualitativen Erhebung zeigt sich darüber hinaus, dass einige der Befragten über eine hohe Stressbelastung klagen, die in manchen Fällen zu psychischen Erkrankungen geführt hat. Dementsprechend scheint es wichtig Aspekte der physischen und mentalen Selbstfürsorge in die Ausbildung angehender Berufsmusikern zu implementieren. Die Kultivierung von Achtsamkeit wird in diesem Kontext als möglicher Weg zur Stressprophylaxe und Salutogenese präsentiert. Auf den Ergebnissen der Untersuchungen fußend wird am Ende der Arbeit ein achtsamkeitsbasiertes, integriertes Modell zur curricularen Gestaltung von Popmusikausbildungsgängen vorgestellt. Dieses berücksichtigt die Dimensionen Ganzheitlichkeit, Individualisierung, Berufsfeld- und Praxisorientierung, Vernetzung sowie Selbstfürsorge und kann als Matrix in Hinblick auf ein holistisch orientiertes und berufsfeldoptimiertes Ausbildungsgeschehen herangezogen werden. Es ist davon auszugehen, dass dessen praktische Umsetzung aufgrund der Berücksichtigung aktueller Tätigkeitsprofile und berufsfeldspezifischer Herausforderungen sowie der individuellen Dispositionen, Lernwege und Bedürfnisse der Akteure das Potenzial besitzt, den Absolventen zu einer verbesserten Erwerbsfähigkeit und beruflichen sowie persönlichen Zufriedenheit zu verhelfen.
Repräsentativen Erhebungen zufolge leiden in Deutschland etwa die Hälfte aller Menschen im Laufe ihres Lebens an einer Art von Tinnitus. Ein Tinnitus und die daraus resultierenden Folgen können sich für die Betroffenen in ihrer Lebensqualität und ihrem gesellschaftlichen Leben negativ auswirken. Diese Belastungen könnten mitunter durch die Benutzung von Gesundheits-Apps verbessert werden. Das Ziel dieser systematischen Übersichtsarbeit ist, die Qualität, Inhalte und Potenziale von deutsch- und englischsprachigen Apps für die Anwendung bei Tinnitus zu untersuchen. Der Fokus dieser Arbeit liegt dabei auf dem Qualitätsrating. Nach der Ermittlung von Apps mit dem Fokus auf Tinnitus wurden diese Apps nach bestimmten Ausschlusskriterien herausgefiltert, verglichen und mit Hilfe eines Qualitätsratings zur Einschätzung der Qualität von Apps, der MARS (Mobile Application Rating Scale), von zwei unabhängigen Gutachtern bewertet. Von 1040 identifizierten Apps wurden 23 Apps in die Studie eingeschlossen. Inhaltlich reichten diese Apps von der Diagnostik des Tinnitus bis zu Apps zur Behandlung mit Geräuschen oder mit Entspannungsverfahren hin zu Interventionsapps mit Neuromodulation. Die Apps wiesen eine mittlere Gesamtqualität von M = 3,23 auf. Drei Apps zeigten überdurchschnittlich gute Werte (M = 4,18 bis M = 1 4,30). Zu keiner der eingeschlossenen Apps konnte eine Wirksamkeitsstudie gefunden werden.
Panic disorder is a common anxiety disorder, which is associated with high subjective burden as well as a high cost for the health economy. According to the National Treatment Guideline S3, cognitive behavior therapy is recommended as the most effective psychological treatment. However, many people in need do not have access to cognitive behavior therapy. Internet-based interventions have proven to be an effective way to provide access to evidence-based treatment to those affected. For anxiety disorders, such as panic disorder and agoraphobia, a good effectiveness of internet-based interventions has been proven in numerous international studies. However, the internet has changed over the last few years: mobile technologies have considerable potential to further improve the adherence and effectiveness of internet-based interventions. Against this background, the authors developed the hybrid online training "GET.ON Panic". In this training, an app has been integrated into a browser-based online training. The app consists of a mobile diary for self-monitoring as well as a mobile exposure-guide that supports participants in self-exposure exercises in their everyday lives.In an initial exploratory feasibility study, qualitative interview data and quantitative measurements were collected in a pre-post design of 10 participants. Usage, user friendliness, user satisfaction and acceptance of the app were generally considered high. The use of interoceptive exposure exercises and daily summaries of anxiety and mood were the most widely performed and rated the best, while in vivo exposure exercises and the monitoring of acute panic symptoms were found to be difficult.In the efficacy study, 92 participants with mild to moderate panic symptoms were randomized into two parallel groups. After eight weeks, the intervention group showed a significant improvement in the severity of panic symptoms compared to the waiting control group. Using the intention-to-treat approach, a covariance analysis with baseline values as a covariate yielded a mean effect of Cohen's d=0.66 in reducing the panic symptoms in favor of the intervention group. This effect increased to d=0.89 after three months and stayed at d=0.81 at the 6-month measurement point. Response and remission rates were also significantly higher in the intervention group. This positive effect was also shown for secondary outcomes such as depressive symptoms and quality of life. A correlation between app usage and clinical outcomes could not be found. This work was the first to demonstrate that a hybrid online training based on cognitive behavior therapy is effective in reducing panic symptoms as well as panic disorder. In addition, this work contributes to a deeper understanding of the potential of mobile technologies in the field of e-mental health.
"Einfachheit" gehört zu den maßgeblichen Begriffen, mit denen in der Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte unterschiedliche Wertzuschreibungen einhergehen. Seit Ende des 20. Jahrhundert setzt sich nebenher ein globalisierter Lifestyle durch, der mit geschickten Werbetriggern eine "Sehnsucht nach Einfachheit" weckt und hohe Erwartungen an das Ideal der Komplexitätsbewältigung knüpft. Das damit einhergehende breite Funktionalisierungspotential wird hier aufgegriffen, um den neuen Fragen nachzugehen, warum die Einfachheit einen bemerkenswerten Erfolg in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur feiert und was uns vergleichbare Bewegungen in Architektur, Design und den visuellen Künsten über den aktuellen Ruf nach Einfachheit erzählen. Am Beispiel des erzählerischen Werks von Judith Hermann, Peter Stamm und Robert Seethaler wird erstmalig gefragt, mit welcher Intention und Qualität sich die Einfachheit in den Texten dieser Autoren formiert und ob es sich bei der Kunst der erzählerischen Reduktion um ein spezifisch für die Gegenwart relevantes Konzept handelt. Die Studie leistet damit einen wesentlichen Beitrag zu der noch ausstehenden literaturwissenschaftlichen Systematisierung einer "Ästhetik der Einfachheit".
Educational research has shown that reflection and feedback are crucial for substantial development of pre-service teachers' professional competence. However, reflection and feedback sessions are not a standard element of teaching practicums due to time- and location-constraints. Digital practicum environments can lift these constraints. Digital reflection and feedback environments have typically applied either textual accounts or video sequences of classroom practice, with varying effects. Consequently, the studies presented in this cumulative dissertation are focused on how the use of text- or video-based digital reflection and feedback environments during a practicum influence specific components of pre-service teachers' professional competence (i.e., beliefs about teaching and learning, self-efficacy, professional vision of classroom management, feedback competence). All studies followed a quasi-experimental, pre-test-post-test design. Pre-service teachers at the fourth-semester bachelor level in a German university took part in the studies. Pre-service teachers participated in a four-week teaching practicum at local schools. During the teaching practicum, pre-service teachers were divided into five different groups. The control group (CG) took part in a traditional practicum with live observations and face-to-face reflection and feedback with peers and experts. Pre-service teachers of the intervention groups (IG 1, IG 2, IG 3, IG 4) reflected and received feedback in highly structured text- or video-based digital environments. Intervention groups 1 (IG 1) and 2 (IG 2) participated in a text-based digital reflection and feedback environment. While IG 1 participants only received feedback from peers, IG 2 pre-service teachers also received expert feedback. Intervention groups 3 (IG 3) and 4 (IG 4) took part in a video-based digital reflection and feedback environment. IG 3 pre-service teachers only received peer feedback, whereas IG 4 participants also received expert feedback. Mixed methods were applied by generating quantitative and quantitative-qualitative data was with questionnaires, a standardized video-based test and content analysis. The studies demonstrated that classroom videos and video-based digital reflection and feedback environments can effectively enhance pre-service teachers' professional competence. This finding can be predominantly attributed to two characteristics of the application in the digital reflection and feedback environments: (a) being able to revisit a multitude of authentic teaching situations without time pressure and (b) the degree of decomposition by deliberate, focused practice and scaffolding elements. Furthermore, expert feedback seemed to be of better quality and entailed more substantial effects than peer feedback. The results of the conducted studies on professional vision of classroom management, beliefs about teaching and learning and feedback competence showed that expert feedback can be seen as a lens reducing and focusing classroom complexity, enabling pre-service teachers to perceive crucial teaching situations that would have otherwise gone unnoticed and to benefit from expert modelling of high-quality feedback. Consequently, video-based digital reflection and feedback environments with expert feedback can significantly improve pre-service teachers' professional competence during teaching practicums and, thus, better prepare pre-service teachers for future classroom challenges, leading to better learning environments for school students.
Durch die Neufassung des § 68f Abs.1 Satz 1 StGB tritt die Führungsaufsicht bei vollverbüßter Strafe von zwei Jahren oder bei schwerwiegenden Taten gemäß § 181b StGB nach einem Jahr kraft Gesetzes ein. Diese Reform im Jahr 2007 hat zu einem enormen Anstieg von Führungsaufsichten nach vollverbüßter Jugendstrafe geführt. Die Regelungen und Aufgaben der Verantwortlichen der Führungsaufsicht nach Jugendstrafe sind vielfältig und anders als beispielsweise bei der Führungsaufsicht nach einer Maßregel der Besserung und Sicherung (gem. §§ 63f). Für die Arbeit mit straffälligen Jugendlichen und Heranwachsenden unter Führungsaufsicht nach vollverbüßter Jugendstrafe gibt es für die Justizsozialarbeitenden keine explizite Handreichung. Im Vordergrund der Arbeit liegt die Frage: Welche Faktoren können, aus Sicht der beteiligten Akteure, die Legalbewährung jugendlicher und heranwachsender Vollverbüßer unter Führungsaufsicht begünstigen? Die Praxisforschung wird anhand von 15 Interviews mit den Verantwortlichen der Führungsaufsicht dargestellt und nimmt Bezug auf das in der Praxis erprobte Modellprojekt RESI und das Lebenslagenkonzept.
Die vorliegende Dissertationsschrift orientiert sich an dem soziologischen Verständnis von Zeit als Gestaltungsprinzip (Elias 1984) und der damit verbundenen Bedeutung für institutionell-pädagogische Zeitgestaltungen. Im Rahmen einer qualitativen - und ethnografisch orientierten - Fallstudie wird herausgearbeitet, wie sich die kindlichen Zeitpraktiken in unterschiedlichen Institutionen der frühen Bildung und im Übergang zur Grundschule mit ihren je besonderen institutionellen Zeitordnungen ausprägen. Die empirischen Befunde zeigen, dass die Fach- und Lehrkräfte auf normierte Ablaufmuster und Vorgaben zur Zeitnutzung zurückgreifen und sich spezifischer Disziplinierungspraktiken bedienen, um die Kinder in die vorherrschende soziale Zeitordnung und das darin verwobene generationale Arrangement einzupassen. Verstärkt durch die zeitlichen Anforderungen des institutionellen Alltags verengen sich die erwachsenen Zeitpraktiken immer wieder zu den gleichen Handlungsweisen; insbesondere die Tendenzen zur Beschleunigung und Verdichtung sind als Gestaltungsmodi beobachtbar. Ungeachtet dessen verdeutlichen die Erkenntnisse weiterhin, dass sich die kindlichen Zeitpraktiken in Formen ausprägen, die häufig nicht den sozial vorherrschenden Handlungspraktiken und Handlungslogiken folgen, sondern vielmehr auf einer eigenen Sinngebung beruhen. Im Vergleich zu den Erwachsenen kommt diese zeitliche Eigenart dadurch zum Ausdruck, dass Kinder Gegenständen andere Bedeutungen und Funktionen beimessen, andere Formen des Handlungsvollzuges praktizieren und sich auch in je besonderen Geschwindigkeitsmodi bewegen. In ihrem spezifischen zeitlichen Handeln lassen sich die Kinder bewusst nicht von den Vorgaben zur Zeitnutzung stören bzw. unterwandern diese immer wieder auch zielgerichtet. Angesichts der divergierenden Handlungspraktiken von Erwachsenen und Kindern geht der Alltag mit regelhaften Zeitkonflikten einher, die sich zulasten der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung, des Erwerbs von Zeitkompetenz wie auch der Arbeitsbedingungen des Personals auswirken können, weshalb eine weitere Intensivierung einschlägiger Zeitforschungen bedeutsam erscheint.
The present doctoral dissertations seeks to shed theoretical and empirical light on how complexity and different approaches to manage it affect perceptions, behaviors, and outcomes in integrative negotiations. Chapter 1 summarizes the following chapters, describes their individual contribution to the present thesis, and outlines avenues for future research. In Chapter 2, a theoretical model comprising of task- and context-based determinants of complexity in negotiations is developed. In Chapter 3, the effects of the number of issues (high vs. low) as one essential determinant of complexity on parties' trade-off behavior and joint outcomes are investigated in a series of four experiments. Furthermore, negotiators' cognitive categorizing of issues (i.e., their mental-accounting approach) is examined as the underlying psychological mechanism. Results reveal that more issues lead to a higher risk of scattering the integrative potential between cognitive categories (i.e., mental accounts), reducing trade-off quality and joint outcomes. In Chapter 4, the generalizability of the detrimental effect of the number of issues on joint outcomes is tested across varying numbers of issues in a meta-analysis. Moreover, boundary conditions for the effect are investigated. Results confirm the generalizability of the number-of-issues effect, but no relevant boundary conditions are identified. In Chapter 5, the effects of different mental-accounting approaches on negotiators' judgment accuracy, trade-off behaviors, and negotiation outcomes are examined in a series of five experiments. Results demonstrate that categorizing a moderate number of issues into each mental account leads to a higher judgment accuracy, trade-off quality, and joint outcomes, but only if negotiators manage to pool the integrative potential within these accounts. Finally, Chapter 6 takes a broader perspective on different integrative strategies in negotiations (i.e., expanding the pie, logrolling, solving underlying interests), thereby laying the groundwork for future research.
Empirische Studien aus dem Bereich der Lehrerbildungsforschung haben gezeigt, dass die Arbeit mit Unterrichtsvideos eine wirksame Möglichkeit darstellt, um professionelle Kompetenzen von Lehramtsstudierenden zu erweitern. In der Unterrichtsforschung werden Unterrichtsvideos darüber hinaus auch als Messinstrument zur Wahrnehmung von Unterrichtsqualität genutzt. Dabei werden meist Filmaufnahmen verwendet, die mit einer Überblicks- oder Lehrerkamera gefilmt wurden. In diesem Kontext äußern Bildungswissenschaftler die Annahme, dass die gefilmte Kameraperspektive einen Effekt auf die Beobachtung und Beurteilung der Unterrichtsvideos haben kann. Empirische Befunde sind zu dieser Hypothese bisher wenig vorhanden. Die vorliegende Dissertation hat sich daher - in der Tradition standardisierter Videostudien - das Ziel gesetzt, das bisherige standardisierte Kamerasetting inhaltlich-konzeptionell durch die Installierung mehrerer Schülerkameraperspektiven weiterzuentwickeln. Auf dieser Grundlage wurde geprüft, ob die Rater durch den Einsatz multiperspektivischer Videos in ihrer Einschätzung der Unterrichtsqualität zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Die Befunde belegen, dass Rater ein Unterrichtsgeschehen mit den etablierten Perspektiven der Überblicks- oder Lehrerkamera nahezu ähnlich einschätzen. Mit weiteren Kameraperspektiven, die auf die Schüler gerichtet sind, wird jedoch eine deutlich breitere Beurteilung in den Dimensionen "Kognitive Aktivierung", "Klassenmanagement" und "Individuelle Förderung" deutlich. Mehrere Kameraperspektiven ermöglichen detaillierte Aussagen über Unterricht. Von diesem Ergebnis können auch Studierende in der Lehrpersonenausbildung profitieren. Schülerkameraperspektiven eröffnen Dozierenden insbesondere zur Thematik "heterogene Schülerschaft" ein didaktisches Lehrmittel und Werkzeug, das eine Videoanalyse zu Mikrointeraktionen zwischen Schüler-Lehrpersonen-Interaktionen dynamisch und simultan erlaubt.
Die Beurteilung von Unterrichtsqualität stellt in der schulischen Praxis eine Schwierigkeit dar, weil sie eng mit der Frage danach, wer den Unterricht bewertet, verknüpft ist. Üblicherweise schätzen Lehrkräfte ihren Unterricht selbst ein. Seltener wird Unterrichtsqualität von geschulten, externen Beobachtern beurteilt. Eine weitere relevante Perspektive auf die Qualität des gehaltenen Unterrichts stellt die der Schüler dar. Die Qualität dieser Perspektive steht im Fokus dieser Arbeit. Der Begriff Unterrichtsqualität gliedert sich im deutschsprachigen Raum in drei Qualitätsdimensionen auf: die Kognitive Aktivierung, die Konstruktive Unterstützung und die Klassenführung. In dieser Arbeit wird die Unterstützungsdimension aufgefächert in zwei Qualitätsdimensionen: die Instruktionale Unterstützung und die Emotionale Unterstützung. So ergeben sich vier Basisdimensionen von Unterrichtsqualität, die aus der Perspektive von Schülern in dieser Arbeit untersucht werden sollen. Bisherige Studien haben nur unzureichend untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen den Unterrichtsthemen und der Beurteilung der Qualitätsdimensionen durch Schüler gibt. Die meisten Studien in dem Forschungsfeld stützen ihre Ergebnisse auf Erkenntnisse, die auf Durchschnitten der gesamten Klasse beruhen, nicht auf Individualergebnissen. Die hier vorliegende Arbeit knüpft mit ihren Fragestellungen an diese Wissenslücken an. Es werden dabei zwei Hauptfragestellungen untersucht. Zum einen wird die Stabilität der Unterrichtswahrnehmung in folgenden drei Teilfragestellungen untersucht: (1) Wie stabil ist das beobachtete Qualitätsniveau in den einzelnen Dimensionen? (2) Wie stabil sind die Einschätzungen der Unterrichtsqualität in den vier Dimensionen Kognitive Aktivierung, Instruktionale Unterstützung, Emotionale Unterstützung und Klassenführung über die Zeit? (3) Sind die Beurteilungen der Unterrichtsqualität themenunabhängig? Hinzu kommt die Frage: Welchen Zusammenhang zeigen Mathematikleistungen und das mathematikbezogene Selbstkonzept mit den Unterrichtsbeurteilungen der Schüler? Die vorliegende Arbeit wurde in acht längsschnittlichen Erhebungen mit einer Gruppe von in drei Klassen parallel unterrichteten Fünftklässlern eines Hamburger Gymnasiums durchgeführt (N=85). Das Instrument zur Erfassung der Unterrichtsqualität aus der Perspektive von Schülern in den vier Basisdimensionen Kognitive Aktivierung (7 Items), Instruktionale und Emotionale Unterstützung (9 Items und 5 Items) sowie Klassenführung (5 Items) wurde auf der Grundlage der Skalen Fauth, Decristan, Rieser, Klieme und Büttner (2014b) und Kauertz et al. (2011) entwickelt. Das Instrument kam zu acht Messzeitpunkten zum Einsatz. Die Skala zur Erfassung des mathematikbezogenen Selbstkonzeptes (4 Items) der Schüler stammt aus Bos, Dudas, Gröhlich, Guill und Scharenberg (2010) und wurde zu Beginn und am Ende der Messreihe einmal verwendet. Die Reliabilitäten der jeweiligen Skalen zu den jeweiligen Messzeitpunkten nimmt immer akzeptable, oft sogar gute Werte an. Die Leistungsfähigkeit in Mathematik wurde im Rahmen des standardisierten Tests KERMIT5 erfasst und auf der Grundlage von vier Klassenarbeiten und Schulnoten im Laufe des Schuljahres durch die Lehrkraft eingeschätzt. Es wurden lineare Strukturgleichungsmodelle (LGM) zur Messung der Veränderungen der eingeschätzten Unterrichtsdimensionen über die acht Messzeitpunkte mit der Software Mplus (L. K. Muthén & Muthén, 2014) berechnet. In weiteren Schritten wurden dann die Mathematikleistung und das mathematikbezogene Selbstkonzept als Prädiktorvariablen eingefügt und ihr Effekt auf die Unterrichtsbeurteilungen untersucht. Es wurde die Korrelation zwischen der Mathematikleistung und dem mathematikbezogenen Selbstkonzept zu den linearen Strukturgleichungsmodellen hin untersucht. Der Zusammenhang zwischen Unterrichtswahrnehmung und Lernleistung wurde für jede Qualitätsdimension als Regressionsanalyse berechnet und jeweils als Pfaddiagramm dargestellt. Klassenspezifische Tendenzeffekte bei der Beantwortung der Items durch Schüler wurden herausgerechnet. Die Modellfits der berechneten linearen Strukturgleichungsmodelle zur Untersuchung der Beobachtungsstabilität weisen akzeptable Werte auf. Die Wachstumsanalysen zeigen, dass das Niveau der Kognitiven Aktivierung über die Zeit stabil bleibt. Beide Unterstützungsdimensionen werden mit zunehmender Zeit etwas niedriger beurteilt. Gleiches gilt für die Klassenführung. Weiterhin zeigen Stabilitätsanalysen, dass die Unterrichtsbeurteilungen über die Zeit eine relativ hohe interindividuelle Stabilität aufweisen. Höhere mathematische Leistungen (im Test) führen zu signifikant niedrigeren Beurteilungen der Kognitiven Aktivierung und der Emotionalen Unterstützung des Unterrichts. Bessere Noten gehen mit höherer wahrgenommener Unterstützung einher. Ein besseres mathematikbezogenes Selbstkonzept führt zu einer signifikant höheren Beurteilung der Kognitiven Aktivierung und zu einer signifikant niedrigeren Beurteilung der Klassenführung des Unterrichts. Insgesamt belegen die Ergebnisse, dass alle Basisdimensionen der Unterrichtsqualität relativ stabil von den Schülern und unabhängig von den unterrichteten Themen eingeschätzt werden. Die häufigere Erhebung erlaubt aber die bessere Modellierung von Niveauveränderungen über die Zeit.
In dieser Studie wurde untersucht, ab welcher Größe die statistische Effektstärke Cohen's d klinisch relevant wird. In einer durch halbstandardisierte Interviews ergänzten Online-Studie wurden den 69 Teilnehmern jeweils vier Szenarien gezeigt, in denen sich Zwillinge in ihren depressiven Beschwerden mit einem d = .5, .8, 1.1 oder 1.4 unterschiedlich stark voneinander unterschieden. Diese Effektstärken wurden durch unterschiedliche Testausprägungen im Depressivitätstest PHQ-9 generiert und lassen sich in Punktunterschiede in den Beschwerdebildern übertragen. Die Beschwerden der Zwillinge wurden jeweils auf Intervallskalen eingeschätzt. Die Zwillinge unterschieden sich zum einen im Ausmaß ihrer Beschwerden, zum anderen entschieden sie sich für unterschiedliche Behandlungsansätze, um Verbesserungen ihrer Beschwerden zu erzielen. Der eine Zwilling wählte eine Psychotherapie, der andere bevorzugte es, zu beobachten und abzuwarten. Eine rmANOVA zeigt, dass die Teilnehmer ab einer Effektstärke von d = .8 verlässlich unterscheiden können, welchem Zwilling es besser geht und in welchem Ausmaß. Diese Effektstärke entspricht einer Punktdifferenz im PHQ-9 von 5 Punkten. Die vorliegende Studie wagt einen ersten Versuch, die klinische Relevanz der Effektstärke Cohen's d durch subjektive Einschätzungen darzustellen und einen Schwellenwert zu identifizieren. Dieser kann in weiterführender Forschung näher untersucht, optimiert und weiterentwickelt werden.