Das Potential bestehender Autoparkhäuser für die Mobilitätswende in der Hansestadt Lüneburg
The potenial of existing car parking garages for the mode shift in the Hanseatic city of Lüneburg
- Der menschengemachte Klimawandel und seine Folgen erfordern zügiges, entschlossenes und zielgerichtetes
Handeln. Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich die Staatengemeinschaft zum Ziel gesetzt,
die Klimaerwärmung bei 1,5°C zum vorindustriellen Niveau aufzuhalten (HENNICKE ET AL. 2020: 7).
Deutschland hat daher beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die selbstgesteckten Zwischenziele
werden jedoch verfehlt (CLIMATE WATCH 2019). Der überwiegend auf fossilen Energieträgern beruhende
Verkehrssektor ist einer der wenigen Sektoren deren Emissionen steigen statt sinken (DIFU
2018: 387; EUROPÄISCHES PARLAMENT 2019). 95 % der Emissionen in diesem Sektor werden durch den
Straßenverkehr emittiert (DIFU 2018: 387). Insofern ist es relevant, die Verkehrsmittelwahl im Individualverkehr
genauer zu betrachten. Das Auto ist – im Gegensatz zu Fuß-, Rad- und öffentlichem Personennahverkehr
(ÖPNV) – positiv konnotiert mit „Fortschritt, Modernität und individueller Freiheit“
(RUHRORT 2019: 52). Zudem wird das Auto seit Jahrzehnten in unserer Gesellschaft finanziell und räumlich
bevorzugt. Daraus sind Privilegien und Probleme erwachsen: unverhältnismäßige Raumnahme und
die Degeneration des öffentlichen Raumes (vgl. KNOFLACHER 2001; NOTZ 2017; SENNETT [1977] 1998),
Verursachung von hohen externen Kosten, die nicht durch die Verursachenden sondern durch die gesamte
Gesellschaft getragen werden (vgl. GÖSSLING ET AL. 2019; HENNICKE ET AL. 2020), gesetzliche Bevorzugung
(vgl. RUHRORT 2019) sowie staatliche und kommunale Subventionen (vgl. GERMANWATCH 2012;
HENNICKE ET AL. 2020). Aufgrund dieser strukturellen Privilegierung ist es kaum möglich, eine Änderung
des Mobilitätsverhaltens von Individuen zu erwarten, solange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern
(RUHRORT 2019: 53-54). Die Kommunen folgen jedoch dem Ansatz der Doppelförderung: Sie fördern
sowohl den Autoverkehr als auch den Umweltverbund (RUHRORT 2019: 251). Für die Bewältigung
der zeitkritischen Klimakrise ist dies nicht ausreichend. In der Hansestadt Lüneburg, einer niedersächsischen
Universitätsstadt 45 km südöstlich von Hamburg, zeigen sich ebenfalls solche Tendenzen.
Die hier nur kurz dargestellten Hürden einer effektiven Mobilitätswende in Deutschland zeigen, dass
die aktuell verfolgten kommunalen Maßnahmen hinterfragt und angepasst werden müssen. Ein Instrument
der strukturellen Privilegierung des Autoverkehrs entgegenzuwirken ist die Äquidistanz, also die
Angleichung der Entfernung zur nächsten ÖPNV-Haltestelle und zum Autoparkplatz (vgl. KNOFLACHER
2001; EMBERGER & PFAFFENBICHLER 2017; PFAFFENBICHLER & EMBERGER 2005). Der erste Teil des Weges zur
Haltestelle oder zum Autostellplatz wird zu Fuß zurückgelegt und aufgrund des hohen Körperenergieeinsatzes
und der langsamen Geschwindigkeit sinkt die Akzeptanz des Weges, je länger er ist, sehr
schnell (KNOFLACHER 2001: 141-143). Solange das Auto näher und bequemer als alle anderen Verkehrsmittel
erreichbar ist, kann keine nachhaltig wirksame Mobilitätswende erreicht werden. Wird das Auto
aus dem öffentlichen Straßenraum in bestehende Autoparkhäuser verlagert, hat dies zudem positive
Effekte auf die Aufenthaltsqualität der Stadt: weniger Lärm, weniger Schadstoffe, mehr Sicherheit,
mehr Platz für andere Fortbewegungsarten, mehr Platz für andere Nutzungen des öffentlichen Raumes
(vgl. APPLEYARD 2005; HENNICKE ET AL. 2020; LEHMBROCK & URICHER 2009). Die Forschungsfrage dieser Arbeit
lautet daher: „Wie viele Autostellplätze im öffentlichen Raum Lüneburgs können in bestehende Autoparkhäuser
verlagert werden, um eine Äquidistanz herzustellen und den öffentlichen Raum aufzuwerten?“
Die Frage wird anhand des Lüneburger Parkhauses Am Rathaus exemplarisch beantwortet.
Die Arbeit gliedert sich in neun Hauptkapitel. Zunächst erfolgt in Kapitel 2 ein Problemaufriss, in dem
der menschengemachte Klimawandel, die damit einhergehenden Probleme sowie internationale Zielsetzungen
zur Emissionsreduktion kurz dargestellt werden. Die Bedeutung des Verkehrssektors für den
Klimawandel wird herausgearbeitet. Es wird gezeigt, dass eine Mobilitätswende notwendig ist, diese
aber (noch) nicht die notwendige Dynamik hat. In Kapitel 3 werden die Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren
der Verkehrsmittelwahl dargestellt. Hier wird anhand einer Vielzahl von Beispielen deutlich
gemacht, dass das aktuelle Verkehrsinfrastruktursystem das Auto strukturell bevorzugt, insbesondere
räumlich und finanziell. Innerhalb dieses Rahmens wirken drei Faktoren – Reisekosten, Reisezeit
und Körperenergieeinsatz – auf die Verkehrsmittelwahl, was in Kapitel 3.2 erläutert wird. In Kapitel 4
wird einerseits gezeigt, dass individuelle Verhaltensänderungen nicht ausreichen sowie andererseits,
dass die bisher ergriffenen kommunalen Maßnahmen zur Förderung der Mobilitätswende gleichfalls
nicht ausreichen. Im Folgenden wird dargelegt, dass die Privilegien des Autos beschnitten werden müssen,
um das Verkehrssystem in Richtung Klimaneutralität zu gestalten. Mit Rückgriff auf Kapitel 3.2
wird in Kapitel 4.2 herausgearbeitet, dass das Instrument der Äquidistanz, also der Angleichung der
Entfernung zu ÖPNV-Haltestellen und Autostellplätzen, wirkungsvoll zur Entprivilegierung des Autos
und zur Mobilitätswende beiträgt. Die Äquidistanz wird durch Sammelgaragen bzw. Autoparkhäuser
erreicht. Es wird erläutert, was die Nutzung von bestehenden Autoparkhäusern fördern kann. Als Vorbereitung
für die folgenden Kapitel wird in Kapitel 5 die Situation in der Hansestadt Lüneburg mit Bezug
auf die Mobilitätswende sowie das Autoparken dargestellt. In Kapitel 6 wird die Methodik der empirischen
Analyse vorgestellt. Dazu wird zunächst die Auswahl des Parkhauses Am Rathaus erläutert. In
Kapitel 6.2 werden Forschungsfragen herausgearbeitet, die zur Beantwortung der Leitfrage dienen.
Nach der Darstellung der Methodik erfolgt in Kapitel 7 die Analyse. Anhand von zwei Analyseschwerpunkten
wird der Status Quo des Parkhauses Am Rathaus analysiert sowie im nächsten Schritt das
Potential des Parkhauses für die Herstellung von Äquidistanz. Die Potentialanalyse wird anhand zweier
Szenarien die Anzahl an Parkplätzen zum Ergebnis haben, welche aus dem öffentlichen Raum in das
Parkhaus verlagert werden können. In Kapitel 8 wird diskutiert, dass dies nur ein Teil der notwendigen
Maßnahmen ist, um eine Mobilitätswende in Lüneburg zu erzielen. Es wird eine konkrete Handlungsempfehlung
gegeben. Das Kapitel bespricht ebenfalls die Limitationen dieser Arbeit. Abschließend
werden in Kapitel 9 alle Ergebnisse zusammengefasst und daraus die Leitforschungsfrage beantwortet.