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- Tertiäre Popmusikerausbildung (1) (remove)
Forschungsprämisse und zentrale Fragestellung
Bestrebungen tertiäre Ausbildungsgänge im Bereich Populärer Musik zu innovieren sollten auf einem vertieften Verständnis des Berufsfelds basieren. Diese Prämisse setzt wiederum empirische Befunde zu den vorherrschenden Tätigkeitsprofilen sowie den entsprechenden Herausforderungen und maßgeblichen beruflichen Kompetenzbeständen voraus. Im Rahmen dieser Dissertationsschrift wurden daher zunächst die zentralen Aspekte berufsvorbereitender Popausbildungsprogramme und des Berufsmusikerarbeitsmarkts in Deutschland betrachtet, um im Anschluss Erkenntnisse zu prototypischen berufsfeldspezifischen Anforderungen zu präsentieren. Zentrale Forschungsfrage der Arbeit war dabei an welchen Parametern eine berufspropädeutische Ausbildung im Bereich Populärer Musik ausgerichtet sein sollte, um angehenden Berufsmusiker*innen den Erwerb einer zukunftsfähigen Kompetenzarchitektur zu ermöglichen.
Zur Beantwortung dieser Frage kam ein methodenintegratives Verfahren zum Einsatz, wobei zunächst, angelehnt an eine Untersuchung aus dem Klassiksektor (vgl. Gembris & Langner, 2005), eine quantitative Vorstudie durchgeführt wurde. Die Stichprobe (n = 159) enthielt Alumni von künstlerischen bzw. künstlerisch-pädagogischen Ausbildungsgängen in Deutschland. Die Daten wurden mittels Online-Fragebogen erhoben und deskriptiv analysiert. Darauf folgte eine qualitative Hauptstudie, im Zuge derer halbstrukturierte Experteninterviews durchgeführt wurden. Das Sample umfasste Alumni von unterschiedlichen tertiären Ausbildungsgängen (n = 9) sowie Expert*innen aus dem Bereich Ausbildung (n = 5) und Arbeitsmarkt (n = 4). Die Daten wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet.
Es zeigte sich zunächst, dass Ausbildungsgänge im Bereich Popmusik, insbesondere solche an musikhochschulischen Einrichtungen, einen starken Fokus auf musikalisch-künstlerische Inhalte legen, während sie Defizite im Bereich Professionalisierung und Berufsfeldorientierung aufweisen. Dies ist insofern im Hinblick auf die Berufspropädeutik problematisch, als die empirischen Daten deutlich machen, dass es gerade auch außermusikalische Kompetenzen sind, die von den Proband*innen als überaus bedeutsam für den Erfolg im Berufsfeld erachtet werden. Hierbei sind neben diversen geschäftlich unternehmerischen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Wissensbeständen vor allem emotionsbasierte, personale und sozial-kommunikative Kompetenzfacetten von zentraler Relevanz. Diese liegen vor allem im Bereich der akkuraten Selbsteinschätzung, einer adäquaten Selbstregulation und Selbstmotivation, der Kreativität sowie der Fähigkeit mit anderen Menschen kompetent und zielführend zu interagieren.
Des Weiteren sind die Lernwege von Popmusiker*innen im Vergleich zu Kolleg*innen im Bereich europäischer Kunstmusik sehr heterogen. So zeigt sich eine Kombination aus informellem und formellem Lernen in mehr oder weniger formalen Lernsettings. Informelles Lernen geschieht dabei häufig in Form von Peer-Learning und autodidaktischem Lernen. Angesichts ihrer zentralen Rolle für den Kompetenzerwerb sollte einer solchen Vielfalt der Lernwege auch von curricularer Seite Platz eingeräumt werden.
Auch die Tätigkeitsportfolios der Befragten sind vielschichtig. Sie umfassen neben diversen musikalisch-künstlerischen vor allem pädagogische sowie musiknahe administrative und unternehmerische berufliche Aktivitäten. In einzelnen Fällen werden diese durch außermusikalische Tätigkeiten ergänzt. Es ist davon auszugehen, dass eine breitgefächerte Portfoliokarriere die vorherrschende Art der Beschäftigung im Berufsfeld Popmusik ist. Auch diesem Sachverhalt sollte in Hinblick auf eine breitere Ausbildungsausrichtung und der Vermittlung realitätsnaher Berufsbilder Rechnung getragen werden. Ziel ist nicht die fortwährende Erwerbstätigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz, sondern die fortwährende Erwerbsfähigkeit in verschiedenen Teilbereichen des Berufsfelds.
Ein wiederkehrendes Motiv in den Aussagen der Befragten sind die vielschichtigen Herausforderungen auf dem Musikerarbeitsmarkt. Gerade der Übergang von der Ausbildungsstätte ins Berufsfeld wird beispielsweise als „Sprung ins kalte Wasser“ beschrieben. Darüber hinaus berichten die Proband*innen generell von fordernden Rahmenbedingungen wie u. a. einer häufig prekären Einkommenssituation, einer hohen Arbeitsbelastung sowie Schwierigkeiten eine nachhaltige Künstlerkarriere aufzubauen. Im Zuge der qualitativen Erhebung zeigt sich darüber hinaus, dass einige der Befragten über eine hohe Stressbelastung klagen, die in manchen Fällen zu psychischen Erkrankungen geführt hat. Dementsprechend scheint es wichtig Aspekte der physischen und mentalen Selbstfürsorge in die Ausbildung angehender Berufsmusiker*innen zu implementieren. Die Kultivierung von Achtsamkeit wird in diesem Kontext als möglicher Weg zur Stressprophylaxe und Salutogenese präsentiert.
Auf den Ergebnissen der Untersuchungen fußend wird am Ende der Arbeit ein achtsamkeitsbasiertes, integriertes Modell zur curricularen Gestaltung von Popmusikausbildungsgängen vorgestellt. Dieses berücksichtigt die Dimensionen Ganzheitlichkeit, Individualisierung, Berufsfeld- und Praxisorientierung, Vernetzung sowie Selbstfürsorge und kann als Matrix in Hinblick auf ein holistisch orientiertes und berufsfeldoptimiertes Ausbildungsgeschehen herangezogen werden. Es ist davon auszugehen, dass dessen praktische Umsetzung aufgrund der Berücksichtigung aktueller Tätigkeitsprofile und berufsfeldspezifischer Herausforderungen sowie der individuellen Dispositionen, Lernwege und Bedürfnisse der Akteur*innen das Potenzial besitzt, den Absolvent*innen zu einer verbesserten Erwerbsfähigkeit und beruflichen sowie persönlichen Zufriedenheit zu verhelfen.