Refine
Year of publication
Document Type
- Doctoral Thesis (10)
- Book (6)
- Habilitation (2)
- Master's Thesis (1)
Keywords
- Akteuer-Netzwerk-Theorie (1)
- Amsterdam (1)
- Bildanalyse (1)
- Computer Science (1)
- Digital culture (1)
- Digitale Kultur (1)
- Digitale Kulturwissenschaften (1)
- Digitale Medien (1)
- Electronic music (1)
- Elektronische Musik (1)
- Filmwissenschaft (1)
- Game Studies (1)
- Game studies (1)
- Großbritannien (1)
- Informatik (1)
- Interaktive Kunst (1)
- Interface (1)
- Interface <Schaltung> (1)
- Kommerzialisierung (1)
- MIDI <Musikelektronik> (1)
- Medienarchäologie (1)
- Mediengeschichte (1)
- Medienkunst (1)
- Neue Medien (1)
- Online-Spiel (1)
- Open Innovation (1)
- Politik (1)
- Rundfunk (1)
- STEIM (1)
- Selbstverbesserung (1)
- Sensor (1)
- Spiel (1)
- actor-network-theory (1)
- digital media (1)
- digitales Zeitalter (1)
- game studies (1)
- image analysis (1)
- interactivity (1)
- interface (1)
- media archeology (1)
- media art (1)
Institute
- Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien (ICAM) (19) (remove)
Diese Arbeit untersucht, wie die massenhafte Verbreitung von Web Videos das Verhältnis von audiovisueller Zeugenschaft und medialem Ereignis beeinflusst: Wie lässt sich das Zusammenspiel von Medien, sozialer Dynamik und Ereignissen beschreiben? Was wird wann unter welchen (medialen) Bedingungen wie zum Ereignis? Wer hat die Deutungshoheit über dieses Ereignis und wie erlangt man sie? Gibt es privilegierte Formen der Zeugenschaft? Und unter welchen Umständen haben diese Zeugnisse politische Relevanz?
Keine dieser Fragen ist neu und dennoch stellen sie sich in digitalen Kulturen mit neuer Dringlichkeit und Bedeutung. Denn durch die Proliferation medialer Produktions- und Rezeptionspraktiken sowie die Medialisierung der Distribution multiplizieren Social Media-Plattformen ästhetische, narrative und institutionelle Kontextualisierungsprozesse von Ereignissen. Dies vergrößert mediale Partizipationsmöglichkeiten, geht aber zugleich einher mit Glaubwürdigkeits- respektive Geltungsverlusten herrschender sozialer Akteur*innen und medialer Formen. Die daraus resultierenden medialen wie sozialen Repräsentationskrisen destabilisieren das Feld medialer Zeugenschaft. Sie bilden aber zugleich auch einen Resonanzboden für Kritische Medienereignisse.
Unter diesem Titel entwirft die Arbeit ein Konzept sozio-medialer Ereignisse, das weder Medien und Ereignis gegeneinander ausspielt noch das Ereignis zum massenmedialen Genre degradiert. Stattdessen erfasst der Begriff kritischer Medienereignisse soziale und medienästhetische Dynamiken in einem gleichberechtigten Zusammenspiel. Dahinter steht die durch den Vergleich von Rainer Leschkes Theorie medialer Formen mit Pierre Bourdieus Praxistheorie gestützte Annahme, dass mediale und soziale Formen mehr miteinander gemeinsam haben, als es unversöhnliche Gegenüberstellungen von medialem und sozialem Apriori vermuten lassen. Im Sinne einer medienmorphologisch geschulten Bourdieu-Lektüre kann dann von kritischen Medienereignissen die Rede sein, wenn ähnlich gelagerte Krisen in sozialen Kräfte- und medialen Formenfeldern zeitgleich eskalieren – wie es gegenwärtig im doppelten Glaubwürdigkeitsverlust politischer Repräsentant*innen (Akteur*innen) und medialer Repräsentationen (Formen) zu beobachten ist. Es handelt sich hierbei nicht deshalb um Medienereignisse, weil sie durch Medien repräsentiert werden, sondern vielmehr deshalb,weil sie der öffentlich sichtbare Ausdruck medialer Umbrüche sind, in denen soziale und mediale Felddynamiken synchronisiert werden und die Neuaufteilung des Sinnlichen mit der des Sozialen zusammenfällt.
In diesem Zusammenhang spielen Web Videos deswegen eine privilegierte Rolle, weil sie als audiovisuelle und kommunikative Prothesen sowohl den Handlungsspielraum von Augenzeug*innen erweitern als auch das Publikum auf eine neue Art und Weise adressieren und einbinden: Man ist nicht länger nur distanzierte Beobachter*in einer Live-Berichterstattung, sondern wirkt aktiv mit am Geschehen und dessen Beglaubigung. Diese neuen, partizipativen Formen der Zeugenschaft erschöpfen sich somit nicht in einer dokumentarischen Funktion, sondern fordern immer auch zur Teilnahme am jeweiligen Ereignis auf. Sie zeichnen sich dabei durch eine radikal subjektive Ästhetik der Authentizität aus, die weniger auf Objektivität als auf affektive Mobilisierung abzielt. Web Videos verändern auf diese Weise das etablierte Kräfte- und Vertrauensverhältnis im soziomedialen Feld der Zeugenschaft in epistemologischer, ethischer und politischer Hinsicht, weil sie dieses Feld für (neue) Formen und Akteur*innen öffnen, die mehr oder weniger bewusst die hegemoniale Position massenmedialer Institutionen und Formen in Frage stellen. Diese Erschütterungen der sozio-ästhetischen Ordnung im Feld der Zeugenschaft offenbaren einen grundsätzlich politischen Gehalt von Web Videos, der immer dann explizit hervortritt, wenn Web Videos Widerspruch und Protest gegen die herrschenden Verhältnisse artikulieren. In kritischen Medienereignissen wie der (gescheiterten) Grünen Revolution in Iran wird daher das politische Potential von Web Videos aktualisiert und situativ beschreibbar. Web Videos machen ihre Betrachter*innen somit in einem doppelten Sinn zu Zeug*innen: Erstens dokumentieren sie ein Geschehen und geben somit der Synchronisation feldspezifischer Krisen des Sozialen und Medialen eine anschauliche mediale Form. Zweitens fungieren sie als Formen des symbolischen Austauschs, die an der Umwertung des symbolischen Kapitals in medialen und sozialen Feldern entscheidend mitwirken. Weil sie somit zugleich Ausdruck wie Katalysatoren dieser Legitimitätsverluste sind, fungieren sie gegenwärtig als ebenso umstrittene wie privilegierte Zeugnisse kritischer Medienereignisse.