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Kritische Medienereignisse : Eine Theorie der politischen Zeugenschaft von Web Videos

  • Diese Arbeit untersucht, wie die massenhafte Verbreitung von Web Videos das Verhältnis von audiovisueller Zeugenschaft und medialem Ereignis beeinflusst: Wie lässt sich das Zusammenspiel von Medien, sozialer Dynamik und Ereignissen beschreiben? Was wird wann unter welchen (medialen) Bedingungen wie zum Ereignis? Wer hat die Deutungshoheit über dieses Ereignis und wie erlangt man sie? Gibt es privilegierte Formen der Zeugenschaft? Und unter welchen Umständen haben diese Zeugnisse politische Relevanz? Keine dieser Fragen ist neu und dennoch stellen sie sich in digitalen Kulturen mit neuer Dringlichkeit und Bedeutung. Denn durch die Proliferation medialer Produktions- und Rezeptionspraktiken sowie die Medialisierung der Distribution multiplizieren Social Media-Plattformen ästhetische, narrative und institutionelle Kontextualisierungsprozesse von Ereignissen. Dies vergrößert mediale Partizipationsmöglichkeiten, geht aber zugleich einher mit Glaubwürdigkeits- respektive Geltungsverlusten herrschender sozialer Akteur*innen und medialer Formen. Die daraus resultierenden medialen wie sozialen Repräsentationskrisen destabilisieren das Feld medialer Zeugenschaft. Sie bilden aber zugleich auch einen Resonanzboden für Kritische Medienereignisse. Unter diesem Titel entwirft die Arbeit ein Konzept sozio-medialer Ereignisse, das weder Medien und Ereignis gegeneinander ausspielt noch das Ereignis zum massenmedialen Genre degradiert. Stattdessen erfasst der Begriff kritischer Medienereignisse soziale und medienästhetische Dynamiken in einem gleichberechtigten Zusammenspiel. Dahinter steht die durch den Vergleich von Rainer Leschkes Theorie medialer Formen mit Pierre Bourdieus Praxistheorie gestützte Annahme, dass mediale und soziale Formen mehr miteinander gemeinsam haben, als es unversöhnliche Gegenüberstellungen von medialem und sozialem Apriori vermuten lassen. Im Sinne einer medienmorphologisch geschulten Bourdieu-Lektüre kann dann von kritischen Medienereignissen die Rede sein, wenn ähnlich gelagerte Krisen in sozialen Kräfte- und medialen Formenfeldern zeitgleich eskalieren – wie es gegenwärtig im doppelten Glaubwürdigkeitsverlust politischer Repräsentant*innen (Akteur*innen) und medialer Repräsentationen (Formen) zu beobachten ist. Es handelt sich hierbei nicht deshalb um Medienereignisse, weil sie durch Medien repräsentiert werden, sondern vielmehr deshalb,weil sie der öffentlich sichtbare Ausdruck medialer Umbrüche sind, in denen soziale und mediale Felddynamiken synchronisiert werden und die Neuaufteilung des Sinnlichen mit der des Sozialen zusammenfällt. In diesem Zusammenhang spielen Web Videos deswegen eine privilegierte Rolle, weil sie als audiovisuelle und kommunikative Prothesen sowohl den Handlungsspielraum von Augenzeug*innen erweitern als auch das Publikum auf eine neue Art und Weise adressieren und einbinden: Man ist nicht länger nur distanzierte Beobachter*in einer Live-Berichterstattung, sondern wirkt aktiv mit am Geschehen und dessen Beglaubigung. Diese neuen, partizipativen Formen der Zeugenschaft erschöpfen sich somit nicht in einer dokumentarischen Funktion, sondern fordern immer auch zur Teilnahme am jeweiligen Ereignis auf. Sie zeichnen sich dabei durch eine radikal subjektive Ästhetik der Authentizität aus, die weniger auf Objektivität als auf affektive Mobilisierung abzielt. Web Videos verändern auf diese Weise das etablierte Kräfte- und Vertrauensverhältnis im soziomedialen Feld der Zeugenschaft in epistemologischer, ethischer und politischer Hinsicht, weil sie dieses Feld für (neue) Formen und Akteur*innen öffnen, die mehr oder weniger bewusst die hegemoniale Position massenmedialer Institutionen und Formen in Frage stellen. Diese Erschütterungen der sozio-ästhetischen Ordnung im Feld der Zeugenschaft offenbaren einen grundsätzlich politischen Gehalt von Web Videos, der immer dann explizit hervortritt, wenn Web Videos Widerspruch und Protest gegen die herrschenden Verhältnisse artikulieren. In kritischen Medienereignissen wie der (gescheiterten) Grünen Revolution in Iran wird daher das politische Potential von Web Videos aktualisiert und situativ beschreibbar. Web Videos machen ihre Betrachter*innen somit in einem doppelten Sinn zu Zeug*innen: Erstens dokumentieren sie ein Geschehen und geben somit der Synchronisation feldspezifischer Krisen des Sozialen und Medialen eine anschauliche mediale Form. Zweitens fungieren sie als Formen des symbolischen Austauschs, die an der Umwertung des symbolischen Kapitals in medialen und sozialen Feldern entscheidend mitwirken. Weil sie somit zugleich Ausdruck wie Katalysatoren dieser Legitimitätsverluste sind, fungieren sie gegenwärtig als ebenso umstrittene wie privilegierte Zeugnisse kritischer Medienereignisse.
  • This book examines how the mass distribution of web videos influences the relationship between audio-visual witnessing and media events: How can we describe the interplay between media, social dynamics and events? What becomes an event, when does it become an event under which (media) conditions, and how? Who gets to define an event and its meaning, and how do you get that authority? Are there privileged forms of testimony? And under what circumstances do these testimonies have political relevance? None of these questions are new, yet they arise with new urgency and significance within digital cultures. By mediatising distribution and proliferating media production and reception social media platforms multiply the aesthetic, narrative, and institutional contexts of events. While this increases the possibilities of media participation, established social actors and media forms simultaneously lose credibility and validity. The resulting crises of media and social representation destabilise the field of media witnessing. At the same time, these crises also form a sounding board for Critical Media Events. Under this title, the book outlines a concept of socio-medial events that neither antagonises media against event nor degrades the event to a mass-media genre, but instead captures social and media-aesthetic dynamics in an equal interplay – assuming that media and social forms have more in common than the frequently supposed incompatibility of media and social apriority might suggest. Comparing Rainer Leschke's theory of media forms with Pierre Bourdieu's theory of practice shows, that critical media events occur when similar crises in fields of social forces on the one hand and media forms on the other escalate simultaneously – as can currently be observed while both political representatives (actors) and media representations (forms) lose credibility. In the sense of a media-morphologically trained Bourdieu reading, critical media events are media events not because they are represented by media, but rather because they are the publicly visible expression of media upheavals in which social and media field dynamics are synchronised and the re-distribution of the sensible coincides with that of the social. In this context, web videos play a privileged role because – as audio-visual and communicative prostheses – they both expand the scope of action of eyewitnesses and address and involve the audience in a new way: The spectator no longer just acts a distanced observer of a live coverage, but actively participates in the event and its authentication. These new participatory forms of witnessing are thus not exhausted in a documentary function, but always call for participation in the respective event. They are characterised by a radically subjective aesthetic of authenticity that aims less at objectivity than at affective mobilisation. In this way, web videos change the established relationship of power and trust in the socio-medial field of testimony in epistemological, ethical, and political respects, because they open this field to (new) forms and actors that – more or less consciously – question the hegemonic position of mass media institutions and forms. These shocks to the socio-aesthetic order in the field of witnessing reveal a fundamentally political character of web videos that emerges explicitly whenever web videos articulate dissent and protest against prevailing relations of power. Therefore, in critical media events such as the (failed) Green Revolution in Iran, the political potential of web videos is actualised and comes to light. Against this backdrop, web videos turn their viewers into witnesses in two ways: Firstly, they document events and render synchronised crises in and of social and media fields observable. Secondly, they function as forms of symbolic exchange through which symbolic capital is revalued in these fields. Thus, because web videos are both expressions and catalysts of these losses of legitimacy, they currently function as both controversial and privileged testimonies of critical media events.

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Metadaten
Verfasserangaben:Sascha SimonsORCiDGND
URN:urn:nbn:de:gbv:luen4-opus4-12959
URL: https://pub-data.leuphana.de/frontdoor/index/index/docId/1295
übersetzter Titel (Englisch):Critical media events: a theory of political witnessing of web videos
Betreuer:Götz Bachmann (Prof. Dr.)
Gutachter:Götz Bachmann (Prof. Dr.)GND, Rainer Leschke (Prof. Dr.)GND, Jens Schröter (Prof. Dr.)GND
Dokumentart:Dissertation
Sprache:Deutsch
Datum der Veröffentlichung (online):01.02.2023
Datum der Erstveröffentlichung:01.02.2023
Veröffentlichende Institution:Leuphana Universität Lüneburg, Universitätsbibliothek der Leuphana Universität Lüneburg
Titel verleihende Institution:Leuphana Universität Lüneburg
Datum der Abschlussprüfung:12.10.2017
Datum der Freischaltung:01.02.2023
Fakultät / Forschungszentrum:Fakultät Kulturwissenschaften / Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien (ICAM)
Lizenz (Deutsch):License LogoDeutsches Urheberrecht